Intimbereich – Tempel oder Stilles Örtchen

Seit mehr als 20 Jahren wohne, lebe und arbeite ich in einer 3-Raum-Wohnung, die eine Küche, einen
Bad / WC - Raum und einen kleinen Balkon beinhaltet, alles verbunden durch einen kleinen Flur (Grundfläche der Wohnung: 75 qm).

Im Laufe der Zeit, die ich bisher hier als Künstler verbracht habe, besuchten mich unzählig viele Menschen. Hier waren Menschen aus allen Kontinenten zu Gast. Sie sind als Fremde gekommen und sind als Freunde gegangen.

Es waren viele Künstler darunter und viele Kunstinteressierte, aber auch sogenannte ganz normale Menschen, die hier verweilten und durch ihre Anwesenheit den Ort als internationales Kommunikations- und Kulturzentrum bestätigten.

Durch all´ die vielen Gäste -und ihre Einflüsse- wurden im besonderen zwei Räume dieser Wohnung
frequentiert und als dauerhafte, lebendige und „nach-innen-wachsende Kunstwerke“ oder Installationen bestätigt. Besonders in diesen beiden Räumen -der Küche, als Kommunikationszentrum und Ort der Begegnung, und dem Bad/WC-Raum, als Intim-Ort und sogenanntem Ort der Besinnung, wurden die Gäste, durch ihre Anwesenheit und während ihrer Anwesenheit zu Teilen der Kunst, inmitten der zur Kunst
erklärten Räume.

Es ist sogar vorgekommen, daß Gäste zu einem zweiten Besuch Geschenke für den einen oder anderen Raum mitbrachten, wie Aufkleber, kleine Kunstwerke, Fundstücke und Materialien jeder Art, die in die Kunsträume integriert wurden, wodurch diese natürlich weiter nach innen wuchsen und die Magie der Räume immer stärker wurde.

Im November 1995 hatte ich die Idee, das Nach-Innen-Wachsen des Bad/WC-Raumes und das Leben darin zu dokumentieren.
Von nun an sollte jeder Gast, der zum ersten Mal meine Wohnung und diesen Kunstraum besuchte, mit einer ihm von mir zu Verfügung gestellten Sofortbild - Kamera ein Foto machen, in dem Raum, von dem Raum oder von sich selbst in dem Raum. Das Motiv blieb ihm selbst überlassen, nur sollte er oder sie es abschließend mit seinem oder ihrem Vornamen signieren und datieren.
Es sind bisher, in den vergangenen mehr als zehn Jahren, über 800 Sofortbild - Fotos entstanden,
aufgenommen von gleichvielen Besuchern aus der ganzen Welt, die, als Beteiligte dieser Fotoaktion,
auch zu Zeugen der Kunst wurden und somit die These bestätigten, daß Leben auch Kunst und daß Kunst auch Leben sei!

Der Bad/WC-Raum wurde zu einem vielbesuchten intimen Ort der Geborgenheit, Besinnung und Stille, zu einem Tempel in einer Welt des ständigen Umbruchs, zu einem Ort der Erleichterung und der Meditation, zu einem nach-innen-wachsenden, kleinen, fensterlosen Wohnraum und gleichzeitig zu einer
Dauer-Installation.
Dieser Raum ist schon vor langer Zeit zu einem öffentlichen Kunst- und Lebensraum geworden, gewissermaßen zu einem „lebendigen Zeit-Denkmal“ unserer Kultur, angefüllt mit unendlich vielen Beweisen unseres Seins aus den letzten mehr als 30 Jahren.

Zum Ausstellungs-Projekt:
Im Mai 1999 wurden alle bis dahin entstanden 400 Fotos einzeln gerahmt und in einer langen Reihe im
oberen, runden, geschlossenen Saal des „Palais de Glace“ in Buenos Aires in Augenhöhe der Betrachter, hintereinander aufgehängt, präsentiert. Die lange Reihe der Fotos wurde in diesem Ausstellungsraum zu einem geschlossenen Kreis, dessen Anfang bzw. dessen Ende sich nur aus den Entstehungsdaten der
einzelnen Fotos ergibt.
(Jedes Foto hat das Originalformat von 8,8 x 10,7 cm. Mit je einem Rahmen versehen, mit einem Format von 13 x 18 cm, ergibt sich, bei einer Hängung von 400 Rahmen, ohne Zwischenraum zwischen den Rahmen, eine Reihe in einer Länge von 52 Metern. Danach hätte der von dieser Bilderreihe um
gebene Raum ein Mindestgrundfläche von 169 qm, plus Eingänge.)

Im Zentrum des Ausstellungsraumes befand sich wieder ein Raum, diesmal aber nur durch seine Ecken und Kantenals solcher zu erkennen, sichtbar gemacht durch eine Aluminiumkonstruktion, deren Abmessungen genau den Abmessungen des original Bad/WC-Raumes entsprachen, also 197 x 165,5 cm und 265 cm hoch mit einer Grundfläche von 3,2899 qm. In diesem fiktiven Raum befand sich real nur eine weiße Keramik-Kloschüssel, mit schwarzer Plastikklobrille und Deckel.

Dieser angedeutete Raum war gewissermaßen die Idee oder der Rahmen des original Bad/WC-Raumes, dessen Inhalt oder Ausgestaltung sich aus den unzählig vielen Fotoabbildungen ergab, die ihn wie einen Ring umgaben.


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